Colònia Güell – Architekturperle bei Barcelona

Nur wenige Barcelona-Touristen finden den Weg in die ehemalige Industriesiedlung Colònia Güell. Das hat sicherlich viel damit zu tun, dass Barcelona bereits im Stadtkern so viele Attraktionen zu bieten hat. Das hat aber auch mit der Eile vieler Touristen zu tun, die sich – wenn überhaupt – nur einen Ausflug in die nähere Umgebung gönnen. Und dieser eine Ausflug geht dann doch eher in das weltbekannte Kloster Montserrat. Die haben auch definitiv den besser ausgestatteten Souvenir-Shop.

Der Besuch ist einfach zu organisieren

Doch ein Ausflug lohnt sich. Ich habe das Gelände während meines letzten Barcelona-Besuchs besichtigt. Von der Plaça d’Espanya kann man jeden beliebigen S-Zug der FGC nehmen, um in weniger als einer halben Stunde nach Colonia Güell zu fahren. Vom Bahnhof ist der 10-minütige Fussmarsch zum Informationszentrum sehr gut ausgeschildert. Es befindet sich an zentraler Stelle in der ehemaligen Konsumgenossenschaft der Siedlung. Dort habe ich mir einen recht guten Audioguide ausgeliehen, der mich auf einem Rundweg in gut einer Stunde zu den wichtigsten Gebäuden führte. Der Eintritt kostet 8.50 Euro (Audio-Guide inclusive). Und ja, es hat dort auch einen kleinen Shop, der aber weitestgehend Gaudí-Souvenirs anbietet, die man auch in Barcelona selber kaufen kann. Sehr gut gelungen fand ich dagegen das Fabrikmodell im hinteren Bereich des Gebäudes, das sehr gut die Arbeitsprozesse in der ehemaligen Textilfabrik erklärt.

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Ein Ort für produktive Arbeiter

Die Industriesiedlung wurde nach ihrem Eigentümer Eusebi Güell benannt und umfasst neben den Fabrikgebäuden eine Siedlung für die Arbeiter und die bekannte Krypta, die von Antoni Gaudí stammt. Güell war für seine Zeit sehr grosszügig: Die Arbeiterhäuser hatten eine Wohnfläche von 80-140 qm. Neben der Textilfabrik und den Wohngebäuden liess Güell auch kulturelle Einrichtungen für die Bewohner bauen. Ich mochte vor allem das Schulgebäude und Lehrerhaus, die sich derzeit allerdings etwas hinter Bauzäunen verstecken. Der Fabrikant Güell hat die Arbeitersiedlung nicht aus reiner Menschenliebe gebaut. Ihm ging es auch darum, die Arbeiter fern von den Arbeitsaufständen in Barcelona der Zeit anzusiedeln und so die Produktion zu sichern: „Den Arbeitnehmern soll es an nichts fehlen, damit sie der Verpflichtung nachkommen können, jeden Tag zur Arbeit zu gehen und zu produzieren“ (eigene Übersetzung, Quelle: https://elpais.com/diario/2009/10/18/catalunya/1255828046_850215.html).

Der Gründer und Eigentümer der Siedlung auf dem Dorfplatz:
Eusebi Güell i Bacigalupi, Graf von Güell
Dieses stattliche Haus am Ortseingang steht zum Verkauf.

Schmuckstück Krypta

In einer solchen Siedlung durfte eine Kirche nicht fehlen. Antoní Gaudí erhielt den Auftrag, sie zu bauen. Sie blieb unvollendet. Lediglich das untere Schiff wurde fertig und dient noch heute als Kirche. Gaudí entwarf auch das Mobiliar (Bänke, Taufbecken, Weihwasserbehälter) für die Kirche – absolut sehenswert. Die Kirche ist das meistbesuchte Gebäude der Siedlung.

Blick ins untere Schiff der Kirche

Wenig touristisch

Stilistisch ist die Architektur dem katalanischen Modernisme zuzuordnen, auch wenn Gaudí – sonst wäre er nicht Gaudí – solche Zuordnungen gerne sprengt. Wenn heute Touristen in den Ort kommen, dann sicherlich in erster Linie wegen seiner Krypta. Insgesamt liegt der Ort sehr verschlafen da. Die heutigen Bewohner arbeiten wohl wieder eher in Barcelona und nicht mehr dort, wo sie wohnen. Die Colonia gehört zur politischen Gemeinde Santa Coloma de Cervelló. Die wenigen Bars und Restaurants richten sich in erster Linie an die Wohnbevölkerung, nicht die Touristen. Ich war allerdings auch im Oktober dort und habe das milde Wetter ebenfalls für einen Spaziergang durch die Felder genutzt. Die Ruhe tat mir gut, bevor ich mich dann wieder ins trubelige Barcelona zurückgekehrt bin.

Die Tweets stammen aus einem Thread während meines Besuchs.