Der Fluch der Rohstoffe

Maristella Svampa, Soziologin von der Universidad Nacional de La Plata in Buenos Aires, hielt die diesjährige Tschudi Lecture der SSLAS. Ihr Thema: Die Auswirkungen des Anthropozäns in Lateinamerika. Diese manifestieren sich, so ihre These, vor allem in unzähligen Konflikten um Landnutzungsrechte und den Raubbau von Rohstoffen – ein Thema, das die lateinamerikanischen Gesellschaften seit mehr als fünf Jahrhunderten beschäftigt.

Rohstoffexporte sorgen für wachsenden Wohlstand

Svampa erläuterte eingangs die Entwicklung vom Extraktivismus zum Neo-Extraktivismus in Lateinamerika. Unter Neo-Extraktivismus wird ein wirtschaftspolitisches Modell verstanden, das auf Wohlstandsentwicklung dank hoher Rohstoff-Exporte zielt. Steigende Rohstoffpreise und eine steigende Nachfrage haben dieses lateinamerikanische Wirtschaftsmodell seit den 90er Jahren beflügelt, ungeachtet der politischen Ausrichtung der einzelnen Regierungen. Es schien, als ob die Bevölkerung dank des eigenen natürlichen Reichtums endlich zu mehr Wohlstand kommen könne. Svampa sprach in diesem Zusammenhang vom „consenso de los commodities“ der lateinamerikanischen Staaten. Mit diesem Begriff spielt sie auf die Abwendung vom Washington Consensus an, mit dem die vom IWF und der Weltbank finanzwirtschaftliche Bewertung der lateinamerikanischen Krisenwirtschaften gemeint war. Das Auseinanderdriften der ehemals geopolitischen Blöcke hin zu einer multipolaren Welt habe den wachsenden Rohstoffhunger weiter beflügelt, insbesondere auch das Wachstum Chinas. Mehrere Faktoren haben in den letzten Jahren jedoch dazu beigetragen, dass dieser Konsens so nicht mehr hingenommen wurde.

Megaprojekte als Kipppunkt

Die Tendenz zu immer grösseren Projekten (Talsperren, Ölförderung, Goldminen in Naturschutzgebieten) hat zu wachsendem Widerstand bei der Bevölkerung gesorgt. Immer stärker beteiligen sich indigene Völker an den Protesten gegen diese extreme Form der Naturausbeutung. Denn oft werden diese Projekte in ihren Wohngebieten lanciert. Sehr oft werden aufgrund ungleicher Machtverhältnisse traditionelle Landnutzungen und -rechte ignoriert. Ebenso treten auch Frauen immer mehr als Protagonistinnen des Widerstands in den Vordergrund. Einen Atlas über die grössten Megaprojekte Lateinamerikas in Regionen mit mehrheitlich indigener oder afrikanischstämmiger Bevölkerung gibt es übrigens bei der UNAM.

Folie aus der Präsentation Maristella Svampas (Screenshot)

Ein New Green Deal für Lateinamerika?

Diese neuen ökologischen und sozialen Konflikte markieren für Svampa den Beginn einer neuen Phase, in der die bisherigen wirtschaftlichen Entwicklungsmodelle auf den Prüfstand gehören. Bisher wurde sozialer Aufstieg automatisch mit mehr Konsum gleichgesetzt. Wie sonst kann man sozialen Aufstieg in einer Gesellschaft messbar machen? Keine so leichte Frage angesichts der aussergewöhnlichen Situation, in der sich auch die lateinamerikanischen Gesellschaften aufgrund der Corona-Krise befinden.

In der Diskussion wurde denn auch die Frage aufgeworfen, ob die Corona-Pandemie eine Chance für eine nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung sein könne. Svampa wünscht sich auch für Lateinamerika einen „New Green Deal“. Ein solcher benötige den Staat als verantwortungsvollen Akteur. Viele Aktivisten und Aktivistinnen würden aber dem Staat grundsätzlich sehr kritisch gegenüberstehen. Insgesamt blieb sie skeptisch, auch weil sich der Raubbau an Land und Menschen angesichts wirtschaftlicher Notwendigkeiten auch intensivieren könne.

Einschätzung

Aufgrund der Corona-Krise fand die Vorlesung in diesem Jahr online statt. Sehr systematisch und didaktisch klug fasste Svampa in ihrer Vorlesung, an der etwa 50 Personen via Zoom teilnahmen, ihr aktuelles Buch „Las fronteras del neoextractivismo en América Latina“ kompakt zusammen. Ihr Buch gibt es übrigens auch in englischer Übersetzung.

Anthropogene Spuren im virtuellen Raum

Der Workshop der Swiss School of Latin American Studies (SSLAS) vom 15-16. Mai 2020 findet, verbunden mit der alljährlichen Tschudi Lecture des Lateinamerika-Zentrums der Universität Zürich, virtuell statt. Der Umzug auf das Videoconferencing-Tool Zoom gibt der Veranstaltung die Chance, auch ausserhalb des kleinen akademischen Zirkels der schweizerischen Lateinamerikanistik wahrgenommen zu werden.

Ähnlich wie die Lateinamerika-Tagung, die ich im Januar an der Evangelischen Akademie in Hofgeismar besucht habe, stehen dieses Jahr Themen der Umweltkonflikte und ihrer Bewältigung im Zentrum der interdisziplinären Tagung. Das Anthropozän bedeutet in Lateinamerika vor allem Landkonflikte und Extraktivismus – Themen, die den Subkontinent seit der Conquista begleiten. Ich freue mich besonders auf die Tschudi-Lecture mit der argentinischen Soziologin Maristella Svampa. Auch das Panel am Samstag finde ich sehr interessant, weil gleich zwei teilnehmende Doktorierende sich kolumbianischen Themen widmen.

Hier ist der Link zum Detailprogramm mit den Zugangsdaten.

Quelle Beitragsbild: Eigenes Foto, Wiese in Machu Picchu

Digitale Lehre in der Hispanistik

logo_dhvZiel des Deutschen Hispanistikverbandes (DHV) ist es, zu einer frischen, modernen und hochqualifizierten Hispanistik in Europa beizutragen, parallel zu den entsprechenden hispanistischen Organisationen des Auslands und zur Asociación Internacional de Hispanistas (AIH).

Präsenz in Zeiten ohne Präsenzlehre

Dazu gehört nun auch eine Initiative, die das Fach auch in Zeiten ohne Konferenzen und Präsenzlehre im öffentlichen Raum sichtbar machen soll. Alle Fachkolleginnen und Fachkollegen aus spanischsprachigen Kontexten sind herzlich eingeladen, digitale Vorträge in einem Format ihrer Wahl (z.B. als Audio-/Video-Podcasts) vorzuschlagen. Diese Initiative hat der Deutsche Hispanistenverband gemeinsam mit dem Instituto Cervantes Berlin und der Wissenschafts- und Kulturabteilung der Spanischen Botschaft in Berlin auf den Weg gebracht.

Die Hispanistik auf Youtube bringen

Der Vorstand des Verbands wählt gemeinsam mit der den Vertretern der spanischen Botschaft die Vorträge seiner Mitglieder aus. Sie können aus allen fachwissenschaftlichen Bereichen sein: Sprachwissenschaft, Literatur- und Kulturwissenschaft, Didaktik, Landeskunde, Sprachpraxis –
da gibt es keine Einschränkungen. Die Vorträge können in deutscher oder spanischer Sprache sein, und können natürlich alle Kulturen der spanischsprachigen Welt umfassen.

Wichtig ist, dass sich Interessierte darauf einlassen, dass die Vorträge auf dem eigenen YouTube-Kanal des DHV und über die Webseiten des Instituto Cervantes und der Spanischen Botschaft ein breiteres Publikum erreichen werden. Die Vorträge sollten zwischen 7-15 Minuten lang sein. Ansprechpartnerin beim DHV ist die Vorsitzende Susanne Zepp von der FU Berlin (vorstand@hispanistica.de). Sie hat die Mitglieder des DHv via Email über die Initiative informiert.

Ich bin gespannt. Bisher hat sich die deutschsprachige Hispanistik – zumindest nach meinem Kenntnisstand – nicht gerade stark dafür engagiert, sich einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Diesen Job hat man gerne dem Instituto Cervantes überlassen, das allerdings nur in den grossen Städten vertreten ist. Ich hoffe auf viele Themen aus der ganzen Hispania sowie unterschiedliche Vortragsstile und didaktische Ansätze.