El Palacio de las Cortes es un edificio en Madrid donde se reúne el Congreso de los Diputados.

Eine wegweisende Abstimmung?

Am 18. Januar 2024 hat das spanische Abgeordnetenhaus entschieden, das Wort „disminuidos“ aus der Verfassung zu streichen. Behindertenverbände haben dies gefordert. Die Abstimmung kann nicht nur als wichtiger Erfolg der Verbände gedeutet werden, sondern vielleicht auch als ein erster Schritt, in entscheidenden Themen einen politischen Konsens der demokratischen Parteien zu finden.

Die Forderung einer sprachlichen Anpassung der spanischen Verfassung

Seit vielen Jahren forderten die Verbände, die sich für die Rechte von Personen mit Behinderungen einsetzen, dass der Artikel 49 der spanischen Verfassung an die international gängige Terminologie zur Bezeichnung von Menschen mit Behinderung angepasst werden müsse. Der Artikel 49 der spanischen Verfassung lautete bisher:

Los poderes públicos realizaran una política de previsión, tratamiento, rehabilitación e integración de los disminuidos físicos, sensoriales y psíquicos, a los que prestarán la atención especializada que requieran y los ampararán especialmente para el disfrute de los derechos que este Título otorga a todos los ciudadanos.

Agencia Estatal Boletín Oficial del Estado, BOE, Constitución Española (versión en castellano), 1078
https://www.boe.es/legislacion/documentos/ConstitucionCASTELLANO.pdf (Stand 19.01.24)

Der Begriff „disminuidos“ wurde von Betroffenen als diskriminierend empfunden, denn „disminuido“ kann zwar auch mit „behindert“ übersetzt werden, enthält aber auch die Assoziation des „weniger wert sein“. Die katalanische Vertreterin des Comité catalán de representantes de personas con discapacitat (Cocarmi), Mercè Battle erläutert die negative Bedeutung folgendermaßen:

„Subnormal, disminuido, minusválido… son palabras con connotación negativa, ofensiva, pero es que además sitúan a la persona afectada en inferioridad de condiciones. Es el ‚ay pobrecitos‘ de toda la vida“

Elisenda Colell, ¿Por qué hay que desterrar la palabra ‚disminuido‘ para hablar de discapacidad?, El Periódico, 06.12.22 (aktualisiert am 17.1.24) https://www.elperiodico.com/es/sociedad/20221206/usar-disminuido-constitucion-discapacidad-79627789 (Stand 19.01.24)

Aus diesem Grund hatte die Real Academia de la Lengua Española das Wort in der Bedeutung von „behindert“ bereits 2020 aus ihrem Wörterbuch gestrichen und durch „discapacitado“ ersetzt. Dieser Vorschlag entsprach noch nicht vollständig den Forderungen des Comité Español de Representantes de Personas con Discapacidad (CERMI). Dem Komitee war es nämlich wichtig, zu betonen, dass die Bezeichnung ‚discapacitado‘ auch nicht ideal sei, da die Bezeichnung einer Person mit einem Adjektiv so klinge, als ob die Behinderung die massgeblich bestimmende Eigenschaft dieser Person sei. Wer als „discapacitado“ bezeichnet wird, ist eben in erster Linie behindert. Stattdessen schlug das Komitee vor, dass mit der Bezeichnung die Wertschätzung der individuellen Lebenslage einer Person anzuerkennen sei. In der Vergangenheit wurde Menschen mit Behinderungen oft der Status als vollwertige Personen abgesprochen. Daher empfahl das Komitee, besser den Begriff „personas con discapacidad“ zu verwenden, um zu zeigen, dass die Behinderung nur eine Facette der Persönlichkeit sei und nicht die gesamte Persönlichkeit der Behinderung untergeordnet werde.

Der politische Vollzug der Verfassungsänderung

Dieser Schritt ist nun endlich mit Blick auf die spanische Verfassung gelungen. Im Abgeordnetenhaus stimmten 312 Abgeordnete dafür, dass der Begriff „disminuido“ im Verfassungstext durch „personas con discapacidad“ ersetzt wird. Nur die Abgeordneten der rechtsextremen Partei VOX stimmten mit „Nein.“ Nun muss noch der Senat zustimmen, was als Formsache gilt, damit der Artikel 49 der spanischen Verfassung angepasst werden kann.

Die symbolische Dimension der Abstimmung

Was zunächst nach einem rein sprachlichen Entgegenkommen gegenüber 4 Millionen Spaniern und Spanierinnnen klingt, kann möglicherweise auch als eine Entscheidung mit symbolischer politischer Bedeutung gedeutet werden. Erstmals kam es zu einem grossen Konsens von PSOE und PP, die gemeinsam für das Streichen des Begriffs aus der Verfassung stimmten.

Wie erwähnt, stimmte VOX mit „Nein“, was die Partei damit rechtfertigte, dass sie keinen Vorschlag der derzeitigen Regierung annehmen könne, da sie diese als illegal ansehe (Sánchez hat aus einer Position der Minderheit eine regierungsfähige Koalition formiert, was verfassungskonform ist, aber von VOX anders gesehen wird). Für mich ist dieses Abstimmungsverhalten ein klares Zeichen, dass es VOX nicht um inhaltliche Sachthemen geht, sondern um ein fundamentales Dagegen. Sie profitieren nur von Polarisierung, der Konsens schwächt ihre Position. Derzeit ist die Polarisierung in Spaniens Politik so stark – in meinem letzten Beitrag schrieb ich darüber – dass es für die extremen Parteien aus taktischen Gründen keinen Konsens zwischen den oppositionellen Parteien im Kongress geben darf. Eine konsensorientierte Politik könnte den Extremen also umgekehrt auch den Wind aus den Segeln nehmen. Ein Treffen zwischen Ministerpräsident Sánchez und PP-Führer Feijóo sorgte dafür, dass es bei diesem Thema eine gemeinsame Haltung der beiden grossen Parteien geben würde. Das Treffen der beiden wurde in der spanischen Presse häufig erwähnt, was ich so interpretiere, dass diese erste gemeinsame Abstimmung möglicherweise als ein erster Schritt zur Zusammenarbeit bei weiteren Themen gehandelt werden kann. So lud denn auch Sánchez in seiner Ansprache am Abstimmungstag die Opposition zur weiteren konstruktiven Zusammenarbeit ein. Mögen denn neben vielen anderen sozialen Themen zukünftig auch Programme dazu gehören, die den Menschen mit Behinderung nicht nur sprachlich entgegenkommen, sondern ihre besonderen Bedürfnisse materiell anerkennen.